Komposition im Wandel

Neue Einfachheit

Mit dem Einzug der Neuen Musik um 1910 und der strukturbetonten seriellen Musik nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es praktisch unmöglich, sich traditionellen Formen wie der Symphonie oder der Sonate als Komponist ausgiebig zu widmen, um sich nicht selbst zu den Traditionalisten zählen zu müssen. Wie es so oft in der Geschichte vorkommt, reagierte die Musikwelt wie sie reagieren musste: Die starke Beschäftigung mit atonaler Musik führte Mitte der 1960er Jahre zur Gegenreaktion: Zunächst vorsichtig, dann konsequent begannen viele Komponisten, wieder tonal zu komponieren. Es war wieder erlaubt Musik zu schreiben, die sich voll und ganz ihrer eigenen ‚Schönheit‘ bewusst wurde. Es entstand eine Stilrichtung, die sich auf diese kompositorische Denkweise von tonalem und traditionell orientiertem musikalischen Material bezog: Die Neue Einfachheit. Diese Musik ist geprägt von einfachem tonalen Material und sie strahlt oftmals einen meditativen Charakter aus. Dies liegt nicht zuletzt an der seit den 1960er Jahren hereinbrechenden Welle der Faszination des Westens für fernöstliche Philosophie. Komponisten waren fasziniert von vielerlei 'spirituell-alternativem' Gedankengut. Manche von ihnen widmeten sich verstärkt den Obertönen oder den sogenannten Ragas – das sind indische Skalensysteme, die, anders als in Mitteleuropa nicht absolut, sondern relativ funktionieren. Dort kann sich also die Skala während des Spielens eines Instrumentes ändern.

Ein Beispiel für einen Komponisten der im Stile der Neuen Einfachheit komponierte und komponiert, ist Arvo Pärt: Der 1935 in Estland geborene Komponist beschäftigte sich mit mittelalterlicher Musik ab Mitte der 1970er Jahre, nachdem er sich lange Zeit mit serieller Musik befasste. In der Auseinandersetzung entstand der sogenannte ‚Tintinnabuli‘-Stil (tintinnabulum, lat. = „Klingel“, „Schelle“, die bei römisch-katholischen Prozessionen eingesetzt wird und wurde). Dabei werden verschiedenen Abschnitten einer Tonleiter in einer Stimme unterschiedliche Töne in einer weiteren Stimme zugeordnet, die jeweils zusammengefasst einen Dreiklang ergeben. Denkbar wäre folgende beispielhafte Kombination:

Beispiel für Tintinnabuli-Kompositionstechnik

Wie du siehst, besteht die Oberstimme aus einer nach oben gerichteten A-Moll-Tonleiter, der Töne aus einem A-Moll-Akkord (A, C, E) zugeordnet werden. Wenn nun eine auf der Tonleiter basierende Melodie komponiert wird, dann werden die Töne aus dem Material eines Dreiklangs gemäß der vorher festgelegten Zuordnung ergänzt. Diese Praxis kann jedoch auch umgedreht werden. Dann werden der Stimme aus dem Material von Dreiklängen Töne der jeweiligen Tonleiter zugeordnet. Pärts Werke, welche der Neuen Einfachheit zuzuordnen sind, folgen allerdings nicht alle diesem Kompositionsstil. Besonders bekannt ist folgendes Werk Pärts, das im Tintinnabuli-Stil komponiert wurde:

Beispiel für Arvo Pärts Tintinnabuli-Kompositionstechnik: Für Alina

Quellen: