Die synoptische Frage

Wenn man die vier Evangelien miteinander vergleicht, fällt dem aufmerksamen Leser eine Sache direkt auf: In Lukas, Matthäus und Markus gibt es Textabschnitte die sich nicht nur gleichen, sondern absolut identisch sind. Andere sind sich wiederum ähnlich. Johannes hingegen weicht deutlich von den übrigen Evangelien ab. Daraus ergibt sich eine Frage, mit der sich die Bibelwissenschaft auseinandersetzt, nämlich: Wie sind die Evangelien entstanden und welche Rückschlüsse können daraus gezogen werden, wenn diese teilweise identisch sind? Diese Frage nach den verschiedenen Abhängigkeiten innerhalb der drei Evangelien nennt man die synoptische Frage. "Synopsis" (griech. = Zusammenschau) bedeutet dabei die vergleichende Gegenüberstellung von Texten, also in diesem Fall der Vergleich von Auszügen der drei Evangelien die sich inhaltlich auf etwas Gleiches beziehen.

Drei Textstellen aus dem NT im Vergleich

Mk 13,30 – 32 Mt 24,34 – 36 Lk 21,32 – 33
Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles geschieht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles geschieht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles geschieht.
Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.
Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.

Markus, Lukas, Matthäus und die Logienquelle Q

Innerhalb dieser Auseinandersetzung mit den Schriften haben sich bestimmte Theorien darüber entwickelt, wie diese zusammenhängen. Es wäre z.B. möglich, dass allen drei Büchern ein einziges Urevangelium zugrunde lag, von dem alle drei Evangelisten gebrauch machten. Vielleicht handelte es sich aber auch nicht um ein Urevangelium, sondern um viele kleine Sammlungen von Erzählungen. Seit dem 19. Jhd. geht man jedoch davon aus, dass die Evangelisten sich aufeinander bezogen. Das älteste Evangelium soll demnach Markus sein, von dem Matthäus und Lukas Texte übernahmen. Außerdem soll eine verschollene Logienquelle Q Matthäus und Lukas zur Verfügung gestanden haben, von der diese wiederum kopierten. "Logien" bedeutet so viel wie Worte und bezieht sich darauf, dass es sich bei den Inhalten dieser angenommen Quelle meist um Worte Jesu handelt und "Q" steht schlicht und einfach für "Quelle". Wie kamen nun aber die Bibelwissenschaftler zu der Überzeugung, dass es diese Beziehung unter den Texten, also Markus, Matthäus, Lukas und der Logienquelle Q gibt? Wenn Texte sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas mit Markus übereinstimmen, so stimmen diese auch untereinander überein. Dies bezeichnet man als sogenannte Dreifachüberlieferung. Dort, wo Texte bei Matthäus als auch bei Lukas von Markus abweichen, weichen sie auch untereinander ab. Zwar gibt es identische Ereignisse, auf die sich Matthäus und Lukas beziehen, allerdings weichen diese inhaltlich und in ihrem Wortlaut voneinander ab. Dies kann nur damit erklärt werden, dass so lange Matthäus und Lukas das Markus-Evangelium als Vorbild zur Verfügung stand, sie darauf auch gleichermaßen zurückgriffen. Sobald dies aber nicht mehr der Fall war, wichen die Erzählungen voneinander ab. Nun gibt es jedoch noch die 'Zweifachüberlieferungen', also Texte, die bei Matthäus und Lukas übereinstimmen. Für diese nimmt man eine gemeinsame Logienquelle Q an. Neben den drei Evangelien und der Logiequelle gibt es noch Texte in Matthäus und Lukas die nur dort vorkommen. Diese werden als "Sondergut" bezeichnet. Es gibt also ein "Sondergut Matthäus" und ein "Sondergut Lukas".

Quellen: